Politik

Woher kommt Kataloniens Ruf nach der großen Freiheit?

Unabhängigkeitsbefürworter machen weit


Bildmontage (Quelle: Roland Kreisel)
GDN - Nachdem der katalanische Regierungschef Mas eingelenkt hat und das Verbot des Unabhängigkeitsreferendums der spanischen Regierung akzeptierte, gingen vergangenes Wochenende wieder 110.000 Menschen auf die Straße um für die Unabhängigkeit Kataloniens zu demonstrieren.
110.000 Demonstranten haben in Barcelona Kataloniens Regierungschef Maß aufgefordert, vorgezogene Parlamentswahlen abzuhalten. “Wir sind für den 9. November, aber wir wollen eine politische Einheit und wir wollen Neuwahlen. Herr Präsident rufen sie zu Wahlen auf, wir wollen binnen drei Monaten wählen.“ Die Katalanen hoffen auf eine gemeinsame Kandidatenliste der Unabhängigkeitsbefürworter. Ziel ist es, eine indirekte Abstimmung über die Unabhängigkeit Kataloniens zu bewirken. Zudem fordert die Bevölkerung eine Volksbefragung, da ja das Unabhängigkeitsreferendum jetzt doch nicht stattfinden wird.
Das geplatzte Unabhängigkeitsreferendum war auch der Auslöser für diese Demonstration. Meinungsumfragen zufolge, setzt sich mehr als die hälfte der Katalanen für eine größere Unabhängigkeit von Spanien ein. Fast alle der Befragten möchten darüber abstimmen.

Der Freiheitsgedanke hat in Katalonien eine sehr lange Tradition und Geschichte. Doch woher stammt dieser unbändige Ruf nach Freiheit? Um das zu verstehen, muss man in der Geschichte zurückreisen, bis in die 1930iger Jahre.
1931, in der zweiten Republik, wurde Katalonien eine provisorische Autonomie mit Wiedererrichtung der Generalitat gewährt. Ein Jahr später, also 1932, wurde dies dann im Autonomiestatut festgeschrieben. Während des Bürgerkrieges 1936-39 war Katalonien (vor allem Barcelona) Schauplatz der einzigen (zumindest zeitweise) geglückten anarchistischen Revolution in der Europäischen Geschichte.
Die Menschen lebten damals in voll bewusster Eigen- und Selbstverwaltung und riefen das Gesellschaftssystem der Anarchie aus. Katalonien selbst war eine anarchistische Hochburg, das Land wurde direkt von den ArbeiterInnen und Bauern bzw. Bäuerinnen verwaltet, es gab keine Autorität die über dem Volk gestanden hat. In Katalonien wurden mehr als 80 Prozent der Wirtschaft kollektiviert.
Das was dann geschah überraschte sogar die anarchosyndikalistischen Gewerkschaften, das Gesellschaftskonzept funktionierte, besser als man es sich in der Theorie vorgestellt hatte. Denn dieses Gesellschaftssystem war auf allen Ebenen ein riesiger Erfolg, denn auf einmal bekamen die Menschen Arbeit und Brot sowie Kultur und Bildung. Jeder hatte alles, keinem fehlte etwas.

George Orwell beschreibt eine Szene in Aragón während dieser Zeit, in seinem Buch Homage to Catalonia (Mein Katalonien):
“Ich war mehr oder weniger durch Zufall in die einzige Gemeinschaft von nennenswerter Größe in Westeuropa gekommen, wo politisches Bewusstsein und Zweifel am Kapitalismus normaler waren als das Gegenteil. Hier in Aragonien lebte man unter Zehntausenden von Menschen, die hauptsächlich, wenn auch nicht vollständig, aus der Arbeiterklasse stammten. Sie lebten alle auf dem gleichen Niveau unter den Bedingungen der Gleichheit. Theoretisch herrschte vollkommene Gleichheit, und selbst in der Praxis war man nicht weit davon entfernt.
In gewisser Weise ließe sich wahrhaftig sagen, dass man hier einen Vorgeschmack des Sozialismus erlebte. Damit meine ich, dass die geistige Atmosphäre des Sozialismus vorherrschte. Viele normale Motive des zivilisierten Lebens - Snobismus, Geldschinderei, Furcht vor dem Boss und so weiter - hatten einfach aufgehört zu existieren. Die normale Klasseneinteilung der Gesellschaft war in einem Umfang verschwunden, wie man es sich in der geldgeschwängerten Luft Englands fast nicht vorstellen kann. Niemand lebte dort außer den Bauern und uns selbst, und niemand hatte einen Herrn über sich.“
Mit dem Sieg Francisco Francos im Spanischen Bürgerkrieg wurde die Autonomie 1939 schließlich aufgehoben. Doch die Generalitat bestand während der Franco-Diktatur im Exil fort. Im Zuge der nach Francos Tod einsetzenden Transition wurde Katalonien 1977 erneut zunächst eine provisorische Autonomie gewährt und der zurückgekehrte Josep Tarradellas als Präsident der Generalitat anerkannt.
Auf der Grundlage der demokratischen spanischen Verfassung von 1978 erhielt Katalonien 1979 ein neues Autonomiestatut. In dessen Rahmen wurden die Kompetenzen und auch die Finanzierung der Region immer weiter ausgebaut, meist auf Druck der national-katalanischen Gruppierungen. Die Politik in Katalonien wurde seit dem Jahr 1980 von dem christdemokratisch-nationalkatalanisch geprägten Parteienbündnis Convergència i Unió (CiU) unter ihrem Vorsitzenden Jordi Pujol geprägt.
Von 1980 bis zum Jahr 2006 erzielte CiU bei Wahlen viermal relative und dreimal absolute Mehrheiten und stellte mit Pujol bis 2003 ununterbrochen den Regierungschef Kataloniens (katalanisch: President de la Generalitat). Von 2003 bis zum Jahr 2011 wurde Katalonien von den Sozialisten (PSC) in einer Koalition mit zwei weiteren Linksparteien regiert. Präsident der Generalitat war von 2003 bis 2006 Pasqual Maragall, und von 2006 bis 2010 José Montilla (beide PSC). 2006 erhielt Katalonien ein neues Autonomiestatut mit erweiterten Kompetenzen. Seit 2010 wird Katalonien wieder mit Artur Mas als Präsident der Generalitat von CiU regiert.
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